Donnerstag, 9. Januar 2014

Beziehungen auf Entisch: Geschichten statt Schubladen

(Bild: Marek Zaleski)
Ich tue mir ja oft schwer, die Beziehungen zu den Menschen in meinem Umfeld in irgendeine Schublade zu stecken, sie mit einem einzelnen Wort zu benennen. Ich bezeichne all die Menschen, die ich liebe, als meine Freunde. Aber das ist so kurz, und so ein weit gefasster Begriff... und die Verbindungen, die ich zu jedem einzelnen Menschen habe, sind so unterschiedlich, dass man mit dem Wort "Freundschaft" alleine noch kaum mehr darüber weiß als ohne.

Ich halte ja auch nicht so viel von Worten wie "Liebesbeziehung", "Affäre" und ähnlichen... sie bezeichnen ein irgendwann mal willkürlich definiertes Komplettpaket von Verhaltensweisen, was selten hundertprozentig zutrifft. Anstatt die indivduelle Beziehung so zu beschreiben wie sie ist, mit ihren einzelnen Aspekten und ihrer Veränderlichkeit und Entwicklung. Ich wünsche mir, dass wir (als Gesellschaft) solche vordefinierten Paketbeschreibungen nicht mehr brauchen, da sie der vielfältigen Realität sowieso nicht gerecht werden.

Eben habe ich mit einem Freund gechattet, und dieses Gespräch brachte mich auf einen Vergleich, den ich ziemlich passend finde, der mir aber bisher nie aufgefallen war.

(Das Thema war eine gemeinsame Freundin von uns. Wir haben uns eine Weile lang nicht gesehen.)

Er: Wie hat sich eure Beziehung eigentlich so entwickelt? Ich krieg ja von dir nix mehr mit [...] Ich bin auch von vor dem letzten Stammtisch nicht auf dem neusten Stand ;P

Ich: Hmm was willst du wissen? Ich finds gar nicht so leicht das zu beschreiben, mir fehlen für Beziehungen irgendwie oft die Worte...

Er: Machs wie die Ents. Erzähl mir eure Geschichte^^

Wie die Ents... was für ein schöner Vergleich!
Falls jemand sich jetzt fragt wer die Ents sind, eine kurze Erklärung: Die Ents sind eine Art Baumwesen aus den Geschichten von J.R.R. Tolkien. Sie sind sehr langlebig und normalerweise sehr langsam. In ihrer Sprache enthält der Name einer Person oder Sache ihre gesamte Geschichte:
"[...] das solltet ihr nicht jedem erzählen. Ihr werdet euren eigenen Namen verraten, wenn ihr nicht vorsichtig seid."
"Damit sind wir nicht vorsichtig", sagte Merry. "Tatsächlich bin ich ein Brandybock, Meriadoc Brandybock, obwohl mich die meisten Leute einfach Merry nennen."
"Und ich bin ein Tuk, Peregrin Tuk, aber ich werde im Allgemeinen Pippin oder einfach Pip genannt."
"Hm, aber ihr seid wirklich hastige Leute, sehe ich", sagte Baumbart. "Euer Vertrauen ehrt mich; aber ihr solltet nicht gleich so offenherzig sein. Es gibt Ents und Ents, wisst ihr; oder es gibt Ents und Lebewesen, die wie Ents aussehen, aber keine sind, könnte man sagen. Ich werde euch Merry und Pippin nennen, wenn ihr erlaubt – nette Namen. Denn meinen Namen werde ich euch nicht sagen, jedenfalls jetzt noch nicht." Ein seltsamer Ausdruck, halb listig, halb belustigt, trat mit einem grünen Flackern in seine Augen. "Denn erstens würde es viel Zeit kosten: Mein Name wächst dauernd, ich ich lebe schon sehr, sehr lange; deshalb ist mein Name wie eine Geschichte. Wirkliche Namen erzählen einem in meiner Sprache, im alten Entisch, wie ihr sagen könntet, die Geschichte der Dinge, zu denen sie gehören. Es ist eine wunderschöne Sprache, aber es braucht viel Zeit, etwas in ihr zu sagen, weil wir nichts in ihr sagen, es sei denn, es lohnt sich, so viel Zeit aufzuwenden, um es zu sagen und anzuhören."
(aus: J.R.R. Tolkien, Der Herr der Ringe, übersetzt von Wolfgang Krege)

Wäre das nicht schön, wenn wir alles so benennen könnten wie es wirklich ist, mit seiner ganzen Geschichte und allen Facetten? Eben mit der Wahrheit, statt einer Vereinfachung die gleichzeitig auch so vieles verfälscht?

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