Donnerstag, 10. September 2015

Wohin mit der ganzen Begeisterung?

Foto: blauer Himmel mit rosa schimmernden Wolkenfetzen
(Bild: pixabay)
Anziehung, Verliebtheit, Schwärmerei, Faszination für die Attraktivität eines Menschen - wie auch immer man es nennen will... es ist ein schönes Gefühl, einen anderen Menschen ganz akut so wunderbar zu finden, dass ich bei dem Gedanken an ihn schon lächeln muss und mich freue.

Ich bin fast immer irgendwie verliebt, meist sogar in mehrere Menschen gleichzeitig. Normalerweise ergibt sich zum Glück zumindest für den einzelnen Moment eine gewisse Priorität, so dass ich nicht allzu oft in die missliche Lage komme, mich zwischen zwei anziehenden Menschen nicht entscheiden zu können, die im selben Raum mit mir sind... wobei ich dann aber manchmal trotzdem traurig darüber bin, nicht allen diesen Gefühlen gleichzeitig Ausdruck verleihen zu können.

Vor allem dann, wenn mich die innere Stimme zurückhält, die mir erzählt, wie die sozialen Normen funktionieren und dass es gerade ziemlich unangemessen wäre, laut auszurufen "Ich liebe dich! Und dich! Und dich auch! Ihr seid alle so verdammt anziehend!".

Diese innere Stimme ist leider manchmal ein guter Ratgeber, und manchmal ein schlechter... und die Schwierigkeit besteht darin, festzustellen was nun gerade der Fall ist.

Ich bin früher mit meiner Begeisterungsfähigkeit ein paar Mal heftig auf die Schnauze gefallen, und seitdem ist diese Stimme etwas übervorsichtig. Was nun regelmäßig dazu führt, dass ich mich darüber ärgere, weil ich mich mal wieder nicht getraut habe, meine Begeisterung für einen Menschen wirklich offen zu zeigen.
Andererseits lebe ich aber auch in einer Welt, wo überschwängliche Begeisterung manchmal als Schwäche ausgelegt wird, mir dann mangelnde Ernsthaftigkeit unterstellt wird, oder die betroffene Person sogar Angst bekommt, weil sie das nicht gewohnt ist und weil im klassischen Skript so eine Begeisterung meist mit Erwartungen verbunden ist (und dass das bei mir nicht so ist, kann man ja nur rausfinden, wenn man zumindest zulässt, mich besser kennenzulernen).
Es ist also immer eine Gratwanderung.

Und manchmal sehne ich mich sehr nach einer Welt, in der ich diese Gratwanderung nicht mehr machen muss, und mich hemmungslos auf die Seite der Schwärmerei fallen lassen kann.

Eine Welt, in der ich allen davon erzählen kann, was für eine wunderschöne Stimme der Sänger hat, den ich gerade kennengelernt habe - ohne dass sie dann vermuten, das würde automatisch heißen, dass ich mit ihm ins Bett (oder gar Sex haben) will (kein Dank an dieser Stelle an alle Klischee-Teenies, die sexuelle und akustische Anziehung nicht auseinanderhalten können...). Und in der ich auch demjenigen selbst sagen kann, dass ich ab sofort ein glühender Fan von ihm bin - ohne zu fürchten, dass ihn das irgendwie nerven könnte.

Eine Welt, in der ich der wunderbar lieben und flauschigen und gleichgesinnten neuen Freundin ausführlich sagen kann, wie gerne ich sie mag, ohne sie damit zu verschrecken oder vergraulen, dass ich zu "starke" Worte verwende.

Eine Welt, in der ich dem Menschen, für den ich gerade jetzt ganz besonders schwärme, genau das auch in vollem Ausmaß sagen kann: dass ich ganz arg auf ihn stehe. Dass er fast alle irgendwie möglichen Register der Anziehung bei mir zieht. Dass er unbeschreiblich hübsch ist und ich ihn stundenlang anstarren möchte. Erst recht, wenn er sich auch noch bewegt, so geschmeidig wie er dabei aussieht. Dass ich ihn sinnlich sehr, sehr verlockend finde (ich bin zwar asexuell, aber er spricht die ganze Bandbreite der sinnlichen Anziehung an, und auch die Grauzone zwischen sinnlicher und sexueller Anziehung, so weit sie halt bei mir geht) und gerne mit ihm tanzen, kuscheln, knutschen, einfach sinnliche Nähe genießen möchte. Und dass ich bei all dieser körperlichen Anziehung auch zusätzlich noch seine Persönlichkeit sehr sympathisch finde und mich super gerne mit ihm unterhalte.

Aber stattdessen belasse ich es bei vorsichtigen, teilweise auch nur nonverbalen Andeutungen. Ich halte mich für leicht durchschaubar (weil ich meine Gefühle ja auch gar nicht aktiv verbergen will) und gehe davon aus, dass er schon recht gut weiß, dass ich ihn verdammt attraktiv finde. Es wäre also nichtmal eine neue Information, wenn ich das wirklich deutlich aussprechen würde. Trotzdem tue ich es nicht. Der soziale Code gibt vor, dass man so etwas langsam angehen lässt (man will ja nicht leicht zu haben sein). Schritt für Schritt, und auch immer erst schön darauf warten, ob das Signal auch erwidert wird.

Und obwohl ich vermute (wieder nur anhand von Andeutungen), dass er mich auch irgendwie ziemlich anziehend findet, wird es eben nicht eindeutig genug erwidert. Zwar auch nicht, wie der Code bei Desinteresse vorgäbe, wirklich abgewiesen, aber eben nicht genug erwidert, dass ich weiter gehen würde.
Wahrscheinlich deshalb, weil er sich entschieden hat, zur Zeit mit jemand anderem monogam sein zu wollen - also ist irgendwo eine Grenze (vielleicht auch gar nicht klar, wo eigentlich), und je näher wir an diese Grenze rankommen, desto schwerer würde es fallen, nicht darüber zu gehen, weil wir es ja eigentlich beide wollen, und die Grenze nur von außen auferlegt ist.
Aber das ist nur eine Theorie. Und ich werde sie vielleicht niemals überprüfen können - weil es in unserer Gesellschaft sehr, sehr schwierig ist, mit jemandem über so etwas zu reden. Und weil ich auch Angst hätte, allein damit vielleicht schon zu weit zu gehen.

Ich habe ja generell oft Angst, jemanden mit meiner Zuneigung irgendwie zu belasten, zu nerven, ihn zu überfordern. Und so sehr ich mich zu diesem Menschen gerade hingezogen fühle und ihm gerne ganz oft und viel nahe sein möchte - so sehr fürchte ich auch, dass seine vorsichtig gezeigte Zuneigung zu mir (und die darauf aufbauende, zaghaft beginnende Freundschaft) plötzlich in offene Ablehnung umschlagen könnte, weil ich einmal eine Grenze übertrete und es ihm "zu viel" wird. Sei es, weil er doch nicht so viel Anziehung für mich empfindet wie umgekehrt (und ich das nur zu optimistisch interpretiert habe). Sei es, weil seine Anziehung gerade von dieser spannenden Ungewissheit lebt, und ich die durch zu plumpe Äußerungen kaputt mache. Oder sei es, weil ich ihn damit indirekt zwinge, sich viel schneller mit seiner eigenen Unsicherheit auseinanderzusetzen, als er eigentlich will.
Oder eben, weil ein sozialer Code vorgibt, dass man nicht mit Leuten flirtet, wenn man weiß, dass sie "vergeben" sind - und ich dann als respektlos dastehe, weil ich diesen Code nicht eingehalten habe. Ich finde diesen Code eigentlich unnötig - wenn jemand auf meine Annäherung eingeht, ist das seine eigene Entscheidung, und es ist nicht meine Verantwortung zu bedenken, was jemand Drittes davon hält. Aber ich bin trotzdem sehr vorsichtig, diese Meinung zu äußern/anzuwenden, weil ich weiß, dass sie bei Vielen nicht gut ankommt. Und ich habe ja trotzdem auch immer noch Interesse daran, einem Menschen, den ich gerne mag, keinen unnötigen Streit einzuhandeln.

Also werde ich meine Begeisterung für ihn, die ja eigentlich ein wunderschönes Gefühl ist, auch weiterhin teilweise verbergen (auslöschen will ich sie nicht, schließlich ist er ja nicht irgendwie gemein zu mir), und darf sie nur häppchenweise ab und zu mal durchblicken lassen. Und auch meine anderen Freunde möchte ich nicht die ganze Zeit damit nerven, dass ich ihnen von irgendwem vorschwärme... vor allem weil ich zwar beim Schreiben dieses Textes an jemand bestimmten denke, der seit einigen Wochen recht dauerhaft und stark in meinem Gefühl präsent ist - aber sich das Prinzip "Schwärmerei" ja ständig, in wechselnden Intensitäten, mit verschiedenen Menschen wiederholt. Weil es einfach so viele wunderbare, attraktive Menschen gibt, und ich immer wieder neue Leute kennenlerne, oder bekannte Leute von neuen Seiten kennenlerne.
Und zusätzlich muss ich deswegen auch noch damit klarkommen, dass meine innere Stimme mir vorwirft, diese Verliebtheit sei ja gar nichts Besonderes, weil ich sie doch so oft habe. Aber ist Verliebtheit wirklich nur dann "besonders" und wertvoll, wenn sie selten ist? Das ist doch hier keine Marktwirtschaft, oder? Ich glaube ja, dass viele Leute viel öfter verliebt sein könnten, wenn sie es sich denn erlauben würden. Und ich empfinde trotzdem jeden einzelnen Menschen und meine Gefühle für ihn als besonders. Die blöde innere Stimme soll mir das mal nicht kleinreden.

Und dann sitze ich manchmal hier und frage mich: wohin nun mit meiner Freude, meiner Begeisterung, Schwärmerei, Verliebtheit?
Zumindest habe ich in meinem polyamoren Freundeskreis überhaupt die Möglichkeit, Anderen ab und zu davon zu erzählen - aber trotzdem fehlt mir noch oft die Möglichkeit, diese Freude wirklich in ihrem ganzen Ausmaß (es macht mir halt auch Spaß, mich da reinzusteigern) mit jemandem zu teilen. Dabei ist geteilte Freude doch so viel schöner, als sich alleine zu freuen.

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1 Kommentar:

  1. Wer kennt meinen Schmerz,
    wenn mein Herz so überfließt,
    dass es Euch einfach vor die Füße fällt?
    Es tut so weh, wenn ihr es durch den Fleischwolf dreht
    weil ihr es lieber in dünnen Scheibchen gehabt hättet.

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