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Ich habe in letzter Zeit festgestellt, dass mich das Thema Gruppendynamik immer wieder beschäftigt. Und deswegen kommt jetzt auch mal ein Blogartikel dazu, selbst wenn ich noch keine großartige Schlussfolgerung habe.
Früher war ich nicht besonders gut darin, Gruppendynamik richtig einzuschätzen. Ich habe nur gemerkt wenn etwas schief ging, und dann war ich meistens schon das Opfer der jeweiligen Situation. Vielleicht deshalb, oder weil mich zwischenmenschliche Prozesse einfach sehr faszinieren, habe ich viel darüber gelernt. Nicht so sehr durch Theorie, sondern durch Erfahrung. Die Theorie lege ich mir jetzt erst langsam selber zurecht.
Mittlerweile kann ich schon viel besser einschätzen, wie und warum sich die Stimmung einer Gruppe, wo ich drin bin, gerade verändert. Oft ist es noch schwer, das in Worte zu fassen (sogar in meinen eigenen Gedanken), aber wenn ich mich auf die Gruppe einlasse, kann ich zumindest so reagieren, dass ich unangenehme Erlebnisse für mich oder Andere möglichst frühzeitig abwenden kann, und manchmal auch dafür sorgen dass angenehme Dynamiken sich schneller oder besser entwickeln.
Trotzdem gibt es einige Situationen, in denen es immer wieder schwierig ist. Das sind Situationen, die einfach an sich ein Dilemma enthalten und wahrscheinlich nicht durch Empathie, Intuition, Menschenkenntnis, psychologische Fähigkeit, oder was auch immer ich mir antrainieren könnte, vermeidbar oder lösbar sind, egal wie gut ich darin noch werde.
Als Grundlage kann ich vielleicht sagen, dass jede Konstellation von Menschen eine eigene Qualität oder Stimmung hat, und die ändert sich natürlich dann auch noch je nach äußeren Umständen. Wenn eine Person zur Gruppe dazukommt oder die Gruppe verlässt, kann das genauso einen starken Effekt haben wie wenn die ganze Gruppe in eine andere Umgebung kommt, oder Ähnliches.
Manche Qualitäten mag ich allgemein besonders gerne, manche möchte ich nur mit bestimmten Menschen teilen, andere wiederum mag ich nur, wenn ich selber in einer bestimmten Stimmung bin.
Die Qualität der Gruppe wird meistens durch die Mehrheit der Mitglieder entschieden - nicht bewusst und aktiv, sondern sie ergibt sich einfach daraus, was die Mehrheit will. Mehrheit ist, wer stark genug ist - entweder zahlenmäßig oder durch sozialen Einfluss ihrer Mitglieder. Der Wille bzw. die Stimmung der Mehrheit muss eben stark genug sein, um die Stimmung der Minderheit zu übertönen. Die Minderheit lässt sich dann entweder mitziehen und umstimmen (dann ist es eine positive Dynamik für alle) oder sie kommt "unter die Räder" und wird missachtet - dann entsteht eine Dynamik, die für die Minderheit (und im Nachhinein dann auch für die Mehrheit) negativ ist.
Wobei es sogar Fälle gibt, in denen eine Einzelperson so einflussreich ist (zum Beispiel durch manipulative Fähigkeit), dass sie die Stimmung für eine (zahlenmäßig) zigfach größere (stärkenmäßige) "Minderheit" fast alleine bestimmen kann. Eine negative Dynamik kann in solchen Fällen sogar die ganze Gruppe zerstören.
Das ist eine Art Dilemma, die ich oft noch nicht gut lösen konnte. Ich habe bei Gruppen, die langfristig angelegt sind (also keine Gruppe von Leuten die sich für einen Abend zum Feiern gehen getroffen hat, sondern welche die über Monate oder Jahre hinweg regelmäßig z.B. ein Hobby zusammen ausüben), schon mehrmals erlebt, wie dort eine große Anzahl an Mitgliedern die Gruppe verlassen hat, weil sie im Streit zwischen mehreren einflussreichen Mitgliedern entweder selbst überhört und missachtet wurden, oder weil sie gedrängt wurden, sich auf eine der starken Seiten zu stellen und die Verliererseite in einer negativen Dynamik erwischt haben. Die "Gewinner"-seite hatte dann auch nicht mehr wirklich gewonnen, weil sie mit so viel weniger Leuten den eigentlichen Zweck der Gruppe nur noch schlecht ausfüllen konnten.
Deswegen versuche ich, negative Dynamiken (wo es "Gewinner" und "Verlierer" gibt) zu vermeiden, und positive Dynamiken (wo am Ende alle Mitglieder zufrieden sind) zu fördern. Manchmal kann man das allerdings nicht mehr erreichen, wenn die Gruppe schon besteht - und muss stattdessen vorher ansetzen und den Zugang zur Gruppe für Leute, die die positive Dynamik gefährden würden, entweder verbieten oder möglichst unattraktiv gestalten.
Schwieriger wird es, wenn man einem Menschen nicht schnell genug anmerkt, welche Stimmung er in die Gruppe einbringen würde - denn jemanden gar nicht erst reinzulassen ist deutlich einfacher (und hat weniger destruktive Folgen) als jemanden später rauszuwerfen, wenn man feststellt, dass es doch keine positive Dynamik mit dieser Person geben kann.
Die angenehmste Lösung ist dann noch, wenn die Stimmung der restlichen Gruppe stark und stabil genug ist, dass der unpassende "Störenfried" sich einfach nicht wohlfühlt und von selber die Gruppe verlässt. In anderen Fällen geht oft die ganze Gruppe daran kaputt.
Gruppendynamik gibt es natürlich nicht nur bei langfristigen Gruppen, sondern auch bei kurzfristigen. Also solche Konstellationen, die nur für z.B. einen Abend bestehen. Da gibt es andere Arten von Schwierigkeiten.
Das fängt schon bei der Planung an. Wenn ich eine gemeinsame Unternehmung mit einer Gruppe plane, dann gibt es verschiedene Stimmungen oder Qualitäten, die bei dieser Aktivität entstehen können - je nachdem welche und wieviele Menschen dabei sind.
Ein Beispiel: ich möchte an einem Abend in meine Lieblingsdisco gehen. Nun kann ich, dank der modernen Technik, einfach z.B. bei Facebook sehen, ob schon Freunde von mir zugesagt haben, an diesem Abend auch dort zu sein. Und dann kann ich mir überlegen, wie die Gruppendynamik mit diesen Leuten sich verhalten könnte (wobei das meistens nur recht ungenau einschätzbar ist, weil diese Leute wiederum mit Anderen interagieren, die ich noch nicht kenne). Wenn mir das gefällt, kann ich einfach so hingehen und mich in die Gruppe einfügen, die sich dort ergibt.
Oder ich überlege mir eben, welche Leute ich zusätzlich noch einladen könnte. Dabei kommt es dann drauf an, welche Qualität von Gruppendynamik ich mir wünsche - je nachdem kommen unterschiedliche Menschen in Frage.
Will ich viel tanzen, dann sollte ich keinen einzelnen Tanzmuffel mit einladen, denn der könnte sich sonst langweilen, wenn keiner mit ihm am Rand rumsteht. Nun kann ich natürlich mehrere Tanzmuffel einladen, die sich gut verstehen - so langweilt sich keiner und in den Pausen können ich und die anderen Tanzfreudigen uns zu ihnen gesellen und in größerer Runde quatschen.
Wenn ich dann aber drei Tanzmuffel mit einlade und zwei davon sagen kurz vorher ab, entsteht eben mit etwas Pech doch eine Dynamik, in der sich einer ausgeschlossen oder alleingelassen fühlt.
Will ich lieber in der gemütlichen Ecke rumhängen und kuscheln, dann werde ich Leute einladen, die gut in eine flauschige oder sinnliche Qualität reinpassen. Dabei sollte die Konstellation so sein, dass im Idealfall jedes Mitglied alle anderen Mitglieder genug attraktiv findet oder ihnen genug vertraut, dass es egal ist, wer nun gerade wem nahe kommt, weil sich jeder mit jedem wohlfühlt. Wenn das nicht möglich ist (so eine sinnliche Dynamik wo wirklich alle mit allen nah sein wollen, ist wunderschön und immer ein Wunschtraum für mich, aber leider doch recht unwahrscheinlich - je intimer die Stimmung wird desto schwieriger ist, es so eine Konstellation zu finden), dann sollte entweder genug Flexibilität (dass jeder zumindest mit mehreren gerne nah ist und alle mit drauf aufpassen, dass keine ausschließende Dynamik entsteht) oder genug Stabilität (dass sich feste Pärchen/Untergrüppchen jeweils umeinander kümmern) da sein... so dass sich niemand unwohl fühlen muss, weil er auf einmal mit einer Person zusammen "übrig" ist, die er nicht so nah haben möchte, aber sich durch die Stimmung der gesamten Gruppe leicht dazu gedrängt fühlt, eigene Grenzen zu missachten. Denn die Macht einer solchen Stimmung ist leicht zu unterschätzen - ich habe schon mehrmals erlebt, wie unangenehm es ist, dann durch eine abweisende Reaktion die Stimmung zu stören und eventuell die Qualität der ganzen Gruppe abzulenken oder noch schlimmer: Dinge zu tun, die ich eigentlich nicht wollte, wo ich aber eben mitgemacht habe, weil ich zu feige war um mich gegen die Stimmung der Gruppe zu stellen und/oder eine andere Person durch Abweisung zu verletzen.
Das wird natürlich noch schwieriger, wenn es nicht um ein Sofa in einem Club geht, sondern um mein eigenes Bett. In meinem Bett können zwei Leute bequem schlafen. Drei Leute nur, wenn sie gerne kuscheln. Und zu viert ist an Schlafen kaum noch zu denken, aber für Kuscheln oder gar Sex ist es ok.
Nun war ich schon einige Male mit drei weiteren Leuten unterwegs, die am Ende ungeplanterweise mit in meinem Bett gelandet sind. Meist wollte ich eine oder zwei Personen davon sehr gerne dort haben, und die andere(n beiden) eigentlich nicht, aber es hatte sich aus der Dynamik des jeweiligen Abends eben vorher ergeben, dass ich diese Konstellationen nicht mehr ohne viel Konflikt auseinanderreißen konnte. Und dann einen Einzelnen (vor allem wenn er sowieso eher emotional "zerbrechlich" wirkte) auf die Gästematratze "auszuladen", wäre mir zu schwer gefallen. Letztendlich konnte ich dann entweder die ganze Nacht nicht schlafen, weil es zu eng war und/oder ich zu angespannt war aus Angst, in unvorsichtigem "Eifer des Gefechts" unangenehm berührt zu werden. Oder ich habe mich eben durch die Stimmung dazu hinreißen lassen, mehr Intimität mit jemandem zu teilen, als mir eigentlich recht war, weil ich mich dann nicht mehr getraut habe, nein zu sagen...
Ich habe mir vorgenommen, dass ich das in Zukunft besser machen will. Allerdings hat sich das als nicht so einfach erwiesen, wie gedacht.
Nochmal zurück zum Disco-Abend, der stellvertretend für viele solcher kurzen Gruppenaktivitäten steht:
Nicht immer weiß ich schon vorher, welche Qualität die Gruppe tatsächlich nachher haben wird, wenn ich anfange, Leute einzuladen. Manchmal frage ich einfach erstmal ganz viele Leute, einige sagen ab, ich finde dann irgendwann eine Gruppe mit der ich mir eine angenehme Qualität vorstellen kann, freue mich darauf und stelle mich vorher oder spontan während des Abends auf die jeweilige Stimmung ein, und dann kommt unerwartet eine Nachricht von jemandem, der vorher schon abgesagt hatte: "hey, ich könnte jetzt doch mitkommen, wie lange seid ihr noch da?". Dann überlege ich, ob derjenige in die neue Qualität reinpassen würde, die sich bis dahin ergeben hat oder die ich gerade sich entwickeln sehe. Und wenn ich merke, dass das nicht passt, dann gibt es wieder ein Dilemma:
Will ich zulassen, dass diese Dynamik, die mir gerade vielleicht sehr gut tut, durch denjenigen unterbrochen wird? Oder wie kann ich diesem Menschen, den ich ja an sich gerne mag, klar machen dass das jetzt plötzlich unpassend geworden ist, ohne dass er sich generell von mir abgelehnt fühlt - denn er hat ja die aktuelle Dynamik nicht selber miterlebt und versteht evtl. nicht, warum ich jetzt so handle? Oder passt er vielleicht doch rein und ich schätze ihn oder die Gruppe gerade falsch ein?
Immerhin bin ich auch dabei schon besser geworden, die Lage möglichst einleuchtend zu erklären - aber es klappt noch längst nicht immer.
(Übrigens kann es natürlich auch sein, dass ich mal diejenige bin, die Andere in dieses Dilemma bringt - aber das kriege ich ja nicht mit, deswegen kann ich nicht davon erzählen.)
Alles, was ich jetzt beschrieben habe, ist in Wirlichkeit noch deutlich komplexer als es hier dargestellt ist, denn Menschen sind vielschichtig und wandelbar. Sie können sich (mal besser, mal schlechter) aneinander anpassen, sie bringen Stimmungen aus ihrer vorherigen Umgebung mit in eine Gruppe hinein, und sie reagieren überhaupt manchmal ganz überraschend und unvorhersehbar aufeinander und auf äußere Umstände.
Aber so schwierig es auch sein mag, eine gut funktionierende positive Gruppendynamik ist eine wunderschöne Erfahrung, und dafür lohnt sich dann all die Übung.
Und vielleicht finde ich ja wirklich noch irgendwann meine flauschig-sinnliche Konstellation von vielen Leuten, wo alle einander vertrauen und gerne nah sein wollen. Zumindest als sehr kleine Gruppe (je weniger Leute, desto einfacher ist es natürlich) hat es schon ab und zu geklappt.
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