Donnerstag, 6. Februar 2014

Beziehungsanarchie - Lieben nach dem Freundschaftsprinzip

Ich habe kürzlich mal versucht, zurückzuverfolgen, wer den Begriff  "relationship anarchy", den man auf englischsprachigen poly-Diskussionsplattformen doch recht oft liest, eigentlich erfunden hat.
Und ich bin bei Andie Nordgren gelandet, die auch das (mir schon länger bekannte) 8-Punkte-Manifest dazu geschrieben hat (Hier das Original auf Schwedisch und Englisch).

Mit Hilfe von Google-Übersetzer habe ich mich durch einige ihrer Blogbeiträge gelesen, und habe mich sehr stark darin wiedergefunden. Weil ich der Meinung bin, dass das Konzept Beziehungsanarchie auch im deutschsprachigen Raum mehr Aufmerksamkeit verdient hat, habe ich den Versuch gewagt, Andies Blogartikel "Relationsanarki" in flüssig lesbares Deutsch zu übertragen. Ich hoffe, die Übersetzung ist mir gelungen. Hinweise von Leuten, die Schwedisch besser verstehen als ich, werden gerne entgegengenommen.


(Bild: Liftarn)

Beziehungsanarchie

(frei übersetzt nach Andie Nordgren)

Warum ist Freundschaft in der Regel einfach und unproblematisch, während Liebesbeziehungen oft zerbrechen und man eine nach der anderen hat?

Ein grundlegender Unterschied zwischen Freundschaften und Liebesbeziehungen ist, dass es Raum für viele Freunde gibt, aber nur für einen Liebespartner (von der gerade entstehenden Poly-Bewegung mal abgesehen). Für jemanden Liebespartner zu sein, bedeutet, einen besonderen und ausgewählten Ort im Leben dieses Menschen zu besetzen. Ein Ort, der sowohl Vorteile als auch Anforderungen mit sich bringt. Es ist ein Paket mit detaillierten Erwartungen darüber, wie eine Liebesbeziehung zu funktionieren hat. Einige Beispiele sind:

- Entweder ist man zusammen oder nicht, es gibt keinen Mittelweg.
- Liebe ist "mehr als Freundschaft".

- Es wird erwartet, dass man um der Beziehung willen Kompromisse eingeht.
- Die Gefühle der Liebe sind auf eine oder wenige Personen beschränkt. Neue Mitglieder sind potentielle Gefahren für die Beziehung.
- Eifersucht in Maßen ist gut - sie zeigt, dass der Andere einem wichtig ist!
- Die Personen in einer Liebesbeziehung sollen beide das gleiche füreinander
empfinden.

Gute Freundschaftsbeziehungen funktionieren auf eine andere Art. Man schließt selten von sich aus einen Kompromiss mit Freunden. Stattdessen tut man genau das Gegenteil: man findet heraus, ob man in die gleiche Richtung will - und wenn ja, dann trifft man sich und pflegt den Kontakt.

Sicher, die meisten haben nur ein paar wirklich gute Freunde, aber es gibt keine inhärente Beschränkung für mehr solche, oder oberflächliche Freunde. Die Beziehung mit jedem Freund  funktioniert einfach unabhängig von anderen Freunden (außer vielleicht, wenn Zeitdruck entsteht).
Die Beziehung muss nicht gemessen werden und braucht keine Bestätigung, weil der grundlegende Ausgangspunkt ist, dass nichts außer dem, was innerhalb der Beziehung passiert, die Freundschaft bedrohen kann. Die Beziehung ergibt sich aus dem Umgang miteinander und braucht nicht mehr bestätigt werden. Es würde sich seltsam anfühlen, nach zwei Wochen Besuch zu fragen "sind wir jetzt Freunde?". Wenn man so über Freundschaft denkt, bedeutet das, dass gute Freunde nur wenige oder gar keine Ansprüche aneinander stellen. Vergleiche das mit dem traditionellen Liebespartner.

Seine Position auf dem Sockel wird ständig durch neue Bekanntschaften bedroht, weil jemand dafür sorgen könnte, dass der Partner die Reißleine zieht. Deshalb hat man die ganze Zeit das Bedürfnis danach, seinem Sockel zu kontrollieren, indem man Bestätigung in unterschiedlichen Formen von seinem Liebespartner einfordert.

Die Idee der Beziehungsanarchie ist es, die Art und Weise in der die Beziehung mit Freunden funktioniert, auch auf diejenigen, die man liebt, zu übertragen. Das bedeutet nicht, man soll nur noch Freundschaft statt Liebe empfinden. Im Gegenteil, man darf weiterhin verschiedene Arten und verschiedene starke Gefühle für null, eine, drei oder mehr andere Personen haben. Das radikale an einer anarchistischen Beziehung ist, über sie in der gleichen Weise zu DENKEN wie über Freundschaftsbeziehungen.

Leo Nordwall hat einige Gedanken über gute Freundschaft geschrieben:

    Ein guter Freund ist nicht eifersüchtig, weil du andere Freunde hast. Dass du die Nähe und die Erfahrung mit anderen schätzt, bedeutet, dass es dir gut geht.

    Ein guter Freund findet es nicht seltsam oder falsch, mit verschiedenen Freunden
in unterschiedlicher Weise umzugehen. Er weiß, dass man mit verschiedenen Arten von Freunden mehr Abwechslung hat, und Freundschaften dann länger halten können.

     Ein guter Freund versteht, dass sich Beziehungen mit der Zeit ändern: stärker zusammenwachsen, sich weiter distanzieren oder die Richtung ändern.

     Ein guter Freund wird nicht aufhören, dein Freund zu sein, nur weil er nicht dein bester Freund ist. Jeder Mensch ist anders - deswegen kann man nicht sortieren oder messen, wer einem am nächsten steht.

     Ein guter Freund freut sich, wenn du interessante Dinge mit anderen Freunden erlebst.

Die Entspannung, die dies für romantische Beziehungen im Vergleich zum traditionellen "den Partner auf einen Sockel stellen"-Denken bedeutet, ist ohne Übertreibung gigantisch. Einige weitere Beispiele und Folgerungen:

- Anstatt, dass der Umgang mit dem Partner eine Selbstverständlichkeit ist - wo man fast zusammengeklebt ist und alles gemeinsam tut - entscheidet ihr euch jedes Mal bewusst füreinander.
- Anstelle der binären Logik von "zusammensein" oder "Schluss machen" entscheidet man sich in kleinen Portionen immer wieder füreiander oder gegeneinander.
- Du musst dich nicht zwischen den Menschen, die du liebst, entscheiden.
- Es gibt viel weniger Gründe, eifersüchtig zu sein.  

- Genau wie gute Freunde tut man etwas anderes, wenn sich der Konktat gerade nur noch wie eine Verpflichtung anfühlt. Man macht keine Kompromisse, nur weil man glaubt, dass man das der Beziehung zu liebe machen sollte.  
- Man betrachtet sich nicht gegenseitig als selbstverständlich. Niemand hat ein erklärtes "Anrecht" auf etwas, sondern man muss einander immer mit Respekt begegnen.

Tipps für den Einstieg


Das Freundschaftsmodell für seine Liebesbeziehungen anzuwenden, ist am Anfang nicht immer einfach. Du findest kaum Anerkennung oder Vorbilder in deiner Umwelt, und es passiert leicht, dass du wieder im Liebesbeziehungsdenken landest, auch wenn du es nicht willst, weil du das so verinnerlicht hast. Manche Dinge werden in guten Freundschaftsbeziehungen einfach vorausgesetzt, aber man muss sie ausdrücklich aussprechen, sobald man für jemanden Liebe emfindet:

Verlange keine Leiden/Opfer als Beweis für deine Liebe. Erkenne die Liebe stattdessen darin, wenn es euch beiden gut geht.
Gib nicht, um zu bekommen. Viele Leute geben ihren Liebespartnern Bestätigung mit dem eigentlichen Ziel, Bestätigung zurück bekommen. Es ist leicht, dann enttäuscht zu werden. Gib nur etwas, wenn du weißt, dass du es von dir aus tust um dem Anderen eine Freude zu machen, und nicht weil du etwas zurückbekommen willst. Wenn du das Gefühl hast, nicht genug Aufmerksamkeit und Bestätigung zu bekommen, ist es keine gute Lösung, sie zu fordern oder zu versuchen, sie zu bekommen indem du selbst Bestätigung gibst.
Gehe davon aus, dass die Beziehung in Ordnung ist, und versuche nicht ständig, Bestätigung für deine Position zu bekommen.
Akzeptiere, dass Beziehungen sich verändern. Die Alternative wäre, den Umgang miteinander zu erzwingen, und dann hast du keine Möglichkeit mehr, zu wissen, welche Interaktion zwischen euch freiwillig ist und welche nicht. Und was willst du mit jemandem, der dich nicht freiwillig liebt?

Viel Glück! Und für weitere Gedanken über die Mechanik von Liebesbeziehungen, lies den Artikel "Love made me do it".
 

---
Wie immer: wenn euch dieser Post gefallen hat, freue ich mich wenn ihr ihn mit euren Freunden teilt - einfach die ensprechenden Buttons anklicken. Wenn ihr Ideen und Gedanken dazu habt, freue ich mich über einen Kommentar oder eine e-mail.

16 Kommentare:

  1. Antworten
    1. Bitte sehr :) Es freut mich, wenn Menschen etwas mit meiner Übersetzung anfangen können :)

      Löschen
  2. Auch von mir vielen Dank,

    eine Arbeit, die der Reflektion dient...

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Freut mich :) Welche Art von Reflektion ist in diesem Fall gemeint?

      Löschen
  3. Danke für deine Mühe, Amelie!

    Das hier zu lesen fühlt sich an, wie nach Hause kommen... :-)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Bitte sehr :) So ein "nach Hause kommen"-Gefühl hatte ich auch, als ich den Originaltext (bzw. andere Texte vom Andie) das erste Mal gelesen habe. Es freut mich, dass ich durch meine Übersetzung dazu beitragen konnte, auch Anderen dieses Gefühl zu vermitteln :)

      Löschen
  4. Danke für die Übersetzung dieses wunderbaren Texytes der einiges sooo klar und einfach zu Begreifen macht. <3 Ich hab ihn genau im richtigen Moment gezeigt bekommen. <3

    Liebe Grüße,
    Melly

    AntwortenLöschen
  5. Super interessant und sehr bedenkenswert. Ich "bewege" dieses Thema für mich schon seit einigen Monaten im Herz und im Kopf. In welche Richtung ich eine zukünftige Beziehung führen will und der Artikel umschreibt schon sehr gut das, was ich mir vorstellen kann. Und ich versuche bereits, den "Übergang" zu "üben" und hinzubekommen. :) Ein echter Lernprozeß, weg vom bisherigen Beziehungsdenken. :) :) :) :)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Spannend finde ich die Reaktionen meiner Gesprächspartner, die von RA noch nie hörten. Da gibt es sehr oft ein "oh, das ist ja SEHR interessant" oder "davon hätte ich gern früher gehört. Doch als ich mir erlaubte, mir das alles genauer zu betrachten und in der realen Lebenspraxis umzusetzen, lernte ich sehr fix folgendes.
      Es braucht sehr viel innere Klarheit, eine gute Selbstreflektion und jede Menge Mut für Konfrontation & Auseinandersetzung - wenn auch in Schönheit und Respekt.
      Eine Herausforderung ist die Umsetzung allemal, wenn man aus der "Normalo-Ecke" kommt.

      Löschen
    2. Beinahe zwei Jahre später merke ich, dass die Umwelt sehr viel weniger mit diesem Beziehungsmodell klarkommt als ich. Ich lebe seit August 2016 in solch einer Beziehung. Es gibt Punkte, die schmerzen, aber vorrangig tut es mir/uns sehr gut. Nur die Leute um mich herum können ein solches Denken nicht nachvollziehen und kommen mir meist mit einem "Du machst dir da doch was vor! Das KANN niemals funktionieren! Irgendwann geht er und dann?"... Dann hatte ich bis dahin eine schöne und lehrreiche Zeit? Dan beschäftige ich mich DANN mit meiner eventuellen Traurigkeit und dem Verlust, sollte all das dann auftauchen? Dann muss ich "ihn" gehen lassen, weil er nie mein Besitz war? (Was er auch nicht wäre, wäre er mein konventioneller Liebespartner, im Übrigen).

      Löschen
    3. Oh wie schön! Wie erging es dir in den letzen 3 Jahren?
      Ich kann bestätigen, dass meist die Umwelt mit dem Konzept am aller wenigsten klar kommt. Seit ein paar Jahren lebe ich ein einem ähnlichen Konzept. Speziell deine Einstellung der Gefahr auf Verlust teile ich sehr. Sollte SIE mein Leben verlassen kann mir keiner die schönen Jahre nehmen.

      Trotz der offenen Beziehungsstruktur ist die Beständigkeit sehr wohltuend für mich. Doch glaube ich auch, dass die Bande zwischen uns stärker wird, wenn es nicht all zu eng wird.

      Ich kann dem Artikel nicht so recht einher gehen, wenn es um den Passus Kompromisse geht. Hier sehe ich die Notwendigkeit auch unter Freunden. Aber für mich haben Kompromisse auch inhärent nichts schlechtes. Ganz im Gegenteil. Mit Kompromissen zu Freunden und Partnern verlasse ich die eigene Buble und lerne neues kennen.

      Insgesamt glaube ich, dass eine Welt mit mehr Beziehungen dieser Art für alle ein Gewinn wäre. Dies führt letztlich auch zu einem besseren Miteinander (wenige Neid, Eifersucht und Selbstsucht)

      Löschen
  6. liebe amelie,
    ich weine und sammel lachend mit freude im herzen die kettenreste zum recyclen ein, danke dir !
    lieben herzlichen gruss,
    armin

    AntwortenLöschen
  7. Das trifft genau mein Denken und Empfinden! Endlich habe ich sogar einen Namen dafür ;-)
    Wo trifft man Menschen, die ähnlich denken und fühlen? Ein Austausch mit ihnen kann stärken - und dieses Thema sollte allgemein lauter gedacht und diskutiert werden.

    AntwortenLöschen
  8. Ich finde es so spannend. Und irgendwie hab ich das Gefühl nach jahrelangem Umhergeirre, das gefunden zu haben in dem ich aufblühen kann. Aber ich weiß auch nicht wo ich Menschen finden kann, die wahrhaftig reflektiert sind. Oft merke ich schnell dass die Menschen nur so tuen, am Ende aber nicht wirklich Verantwortung für sich übernehmen und doch wieder nach Schuldigen im Außen suchen. Ich bin noch lange nicht so weit, dass ich behaupten würde ich mach es anders. Aber Bewusstheit macht viel aus.
    Ich danke dir für die Übersetzung! Dieser Text gibt mir ein gutes Gefühl.

    AntwortenLöschen
  9. DANKE DANKE DANKE! ENDLICH; genau DIE Erklärung , auf den Punkt gebracht für meinen eigenlich genau geigneten Kerl (mit ehegebranntmarktem"P" im Gesicht..!), der mir alle ungelenken Erklärungsversuche Was ICH will und was NICHT (RA) bis HEUTE äusserst angespannt und zerknirscht schuldig skeptisch begegnet ist und jetzt (als Link an ihn gleich gesendet) hoffentlich auch glaubt, Schwarz auf Weiß ncht nur mein Lebens-u. LiebesMotto, dass das eben nicht Augenwischerei von mir ist und ich insgeheim leide (weil er ..wie ich keine klassische Beziehung mehr will), sondern ICH WIRKLICH auch ÜBERZEUGT bin, SO und NUR SO macht BEIDEN "BARFUSS AUF WIESEN LAUFEN" erst richtig Spaß...und durch Pfützen erst!!... ;) ..ich bin gespannt...sonst wird sich hoffentlich ein anderer finden, der seine Schuhe auszieht , ch werd auf jeden Fall vermehrt goggeln, jetzt wo ich weiß, wie man mein "Neigung" offiziell nennt....alles Liebe dir, Amelie und all den andren "Entspannten"!

    AntwortenLöschen
  10. Herzlichen Dank für diesen Text. Er hat das bestätigt, was ich seit vielen Jahre fühle. Hatte seit jung viele Freundschaften, teils sehr innige. Hatte seit jeher mehr Frauen als Freunde, als Männer. Doch liess ich mich auf die üblichen Konstellationen ein und verbrachte somit rund 15 Jahre in einer Beziehung mit meiner Ex-Frau. Dabei gingen alle Freundschaften zu Bruch, was mir innerlich weh tat, einengte und letztlich zum Ende führte. Nach einer gewissen Zeit der Suche, wohin ich will, begann ich mich wieder auf mein altes Ich zu besinnen. Nachdem ich eine Person kennenlernte, welche die Beziehungsanarchie seit Jahren lebt und die mir mehr als nur am Herzen liegt, bemerkte ich was mir fehlte. Genau die Offenheit, wie sie beschrieben wird. Jedes Treffen ist eine neue und gegenseitige Entscheidung, wie der Umgang und die Grenze gesetzt wird. Kurz, ich bin überaus glücklich damit. Wer es nie versucht hat, der verliert aus meiner Sicht etwas Wunderschönes im Leben.

    AntwortenLöschen