Mittwoch, 30. Oktober 2013

Höhen und Tiefen des Singledaseins

Ich bin dankbar und erstaunt über mein neues Singledasein.

Erst nach und nach fällt mir auf, wie oft ich bisher meine emotionalen Verbindungen zu anderen Menschen von vornherein gebremst habe. Ich habe einige Zeit gebraucht, nachdem ich meinen Status mit Rafel verändert habe, um mich davon zu lösen. Diese Entwicklung hat schon vorher begonnen, aber zuletzt ging es doch deutlich schneller.
Jetzt lasse ich mich bewusst viel mehr auf andere Menschen ein. Auf alte Freundschaften und neue Begegnungen. Auf jeden, der auf irgendeine Art Sympathie in mir erweckt. Ich bin überwältigt von der Intensität und Vielfalt an Gefühlen, die sich mir dadurch eröffnet. Es fühlt sich alles lebendiger an - wie ein Frühling mitten im Herbst.

Der Freund, mit dem ich schon lange mal feiern gehen wollte aber nie Zeit gefunden habe? Jetzt habe ich mir die Zeit genommen, eine passende Gelegenheit zu suchen und zu planen.

Die Freundin, die ich schon lange vermisst habe und gerne wiedersehen würde? Jetzt habe ich ihr einfach mal geschrieben anstatt nur zu warten.

Der fast unbekannte Mensch, der mir eine halbe Sekunde zu lange lächelnd in die Augen schaut als dass es noch Zufall sein könnte? Statt mir Gedanken zu machen was er wohl für Absichten hat und was ich für welche habe, genieße ich einfach den Moment, in dem er seine Freude mit mir teilt. Alles andere wird sich später zeigen, und ist doch jetzt gar nicht wichtig.
Polyamorie heißt für mich auch: lebe und liebe in diesem Moment. Liebe heißt nicht mehr, dass ich Zukunftspläne schmieden muss, und überlegen ob wir auch als Familie zusammenpassen würden. Liebe heißt, dass ich mich öffnen kann und einen Menschen ganz nah an mich heranlassen. Jetzt in diesem Moment, weil es sich jetzt gerade gut anfühlt, das hier mit ihm zu teilen.

...

Aber ich fühle mich trotzdem noch irgendwie einsam. Ich bin ein Flausch-Tierchen, Körperkontakt mit anderen Menschen ist wichtig für mein Wohlbefinden. Und seitdem ich nicht mehr jeden Morgen neben Rafael aufwache, bin ich wohl mehr "auf Entzug" als ich zuerst wahr haben wollte.

Das habe ich erst bewusst gemerkt, als ich dann doch mal wieder die Gelegenheit hatte, mit jemandem zu kuscheln - und feststellte, wie sehr das meine Stimmung beeinflusst hat.

Unsere Gesellschaft ist kalt und berührungsscheu. Fast jede Art von körperlicher Nähe und Zärtlichkeit wird so sehr mit einer exklusiven Beziehung oder mit Sex assoziiert, dass wir sie außerhalb davon kaum zulassen.
Dabei gibt es so viele verschiedene Arten, wie man sich liebevoll berühren kann: Hände halten, Anlehnen, Umarmen, Knuddeln, Küssen, Streicheln, Massage, durch-die-Haare-Wuscheln, und so weiter... und vieles davon kann ich auch mit einem Freund genießen, mit dem ich keinen Sex haben will - je nach Grad und Art der Sympathie ganz unterschiedlich. Aber meistens wird dem, der andere liebevoll berührt, automatisch unterstellt er wolle denjenigen entweder "nur ins Bett kriegen" oder wünsche sich eine Beziehung nach dem klassischen Rolltreppenprinzip. Als ob es immer "alles oder nichts" sein müsste - obwohl doch das, was dazwischenliegt, so spannend und vielfältig ist.

Warum versagen wir uns selbst so viel, was uns gut tut? Ich weiß es nicht. Ich bin nur froh, dass ich wenigstens einige Freunde und Bekannte habe, die nicht so engstirnig sind, und auch einfach mal einen Moment der Nähe genießen können ohne Hintergedanken.


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6 Kommentare:

  1. Oh, so schön und ehrlich und warm. Auch deine anderen Einträge, ich mag sie sehr und kann ihnen umfassend zustimmen. Ich denke, ich werde dich häufiger lesen, sofern du weiterhin schreibst. Und ich wünsch dir schöne Begegnungen in den Zwischenräumen. : ) Danke fürs Lesenlassen deiner Gedanken!

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    1. Danke sehr! Und ich habe, seitdem ich das geschrieben hatte, schon einige schöne Begegnungen gefunden. Mehr dazu gibts demnächst in einem neuen Post.

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  2. Nachtrag: Ich denke, du wirst die beziehungsweise.frei-Broschüre mögen, sofern du sie nicht schon kennst. Darin lassen sich einige Gedanken finden, die auch du aufgeschrieben hast, und noch einige mehr. Ich setz dir hier mal den link rein, ja? Nicht wundern, es öffnet sich gleich eine pdf:
    http://www.projektwerkstatt.de/gender/download/a5_beziehungen.pdf

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    1. Die kannte ich noch nicht, aber ist sehr interessant, danke :-)

      Ich finde, dort wird schön aufgezeigt, wie tief das Schubladendenken in unserer Kultur verankert ist - oft sind wir uns selbst gar nicht bewusst was wir alles kategorisieren und einordnen, und es ist sicherlich längst nicht alles davon wirklich nötig.

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  3. :D
    ich glaub, dieser eintrag ist der bisher schönste in deinem blog und ich werd ihn ein paar menschen mal weiter leiten, in der hoffnung, dass sie deine worte besser verstehen als meine ^_^

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    1. Danke, das freut mich sehr :-)

      Ich bin neugierig zu erfahren, ob du tatsächlich schon jemandem helfen konntest damit. Das würde mich besonders freuen!

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