Beziehungsanarchie in 9 Punkten

Dieser Text ist eine Übersetzung der Broschüre "Relationsanarki i åtta punkter" von Andie Nordgren. Es gibt auf Andies Blog auch eine englische Version (der letzte Absatz wurde in der englischen Version neu hinzugefügt).

Wer mehr über das Konzept der Beziehungsanarchie lesen will, kann das hier in meinem Blog tun, und hier im schwedischen Original.

Herzsymbol mit dem Buchstaben "A" - das Symbol für Beziehungsanarchie
(Bild: Andie's Log)

Liebe ist im Überfluss vorhanden, und jede Beziehung ist einzigartig.


Beziehungsanarchie stellt die Idee in Frage, dass Liebe eine begrenzte Ressource ist, die nur dann echt ist, wenn sie nur zwischen zwei Personen auf einmal stattfindet. Du kannst viele Menschen lieben, und die Beziehung zu einem Menschen beschränkt nicht die Liebe, die du für jemand anderen empfindest. Bewerte und vergleiche keine Menschen und Beziehungen - schätze jede Beziehung auf ihre individuelle Art und Weise. Es ist nicht nötig, jemanden als "Partner" zu benennen, damit die Beziehung echt ist. Jede Beziehung ist eigenständig, und eine Beziehung zwischen eigenständigen Menschen.

Liebe und Respekt statt Forderungen


Auf Forderungen als Grundlage für eine Beziehung zu verzichten, heißt die Autonomie und das Urteilsvermögen anderer Menschen zu respektieren. Deine Gefühle für jemanden oder eure gemeinsame Vergangenheit geben dir nicht das Recht, Forderungen und Ansprüche zu haben. Findet heraus, wie ihr miteinander umgehen könnt, ohne persönliche Grenzen zu übertreten. Anstatt immer nach einem Kompromiss zu suchen, lasse jeden Menschen seinen eigenen Weg finden, ohne dass das für die Beziehung eine Krise bedeutet. Keine Ansprüche zu haben, ist der einzige Weg, um sicher zu sein, dass die Beziehung immer auf beidseitiger Freiwilligkeit aufbaut. Liebe ist nicht "echter", wenn ihr euch füreinander verbiegt, nur weil das so üblich ist.

Finde deinen festen Standpunkt


Wie willst du von Anderen behandelt werden? Und ich meine alle anderen. Was sind deine Grenzen und Erwartungen für alle Beziehungen? Mit was für Menschen willst du dich umgeben, und wie soll deine Beziehung mit ihnen aussehen? Finde deine Kernpunkte, die für dich wichtigsten Werte, und verwende sie ohne Ausnahme in allen Beziehungen. Weiche nicht davon ab, um irgendwem zu beweisen, dass du ihn "wirklich" liebst.

Die heterosexistische Norm ist vorhanden, aber fürchte dich nicht.


Denke daran, dass es ein sehr starkes normatives System gibt, das dir sagen will, wie du zu leben hast und was wirkliche Liebe ist. Viele werden dich und deine Beziehungen in Frage stellen, wenn du nicht der Norm folgst. Arbeite mit den Menschen, die du liebst, zusammen und findet Wege und Tricks, um die Normen zu vermeiden, die euch Probleme bereiten. Findet positive Gegenentwürfe, damit ihr für etwas streiten könnt, und nicht nur gegen die Norm. Lasst eure Beziehungen nicht von der Angst vor gesellschaftlichen Normen beeinflussen.

Spontanität statt Verpflichtung


Die Freiheit, spontan zu sein - sich auszudrücken und zu handeln, ohne Angst vor Strafe und ohne Pflichtgefühl - das ist es, was eine anarchistische Beziehung lebendig macht. Spontanität ist vor allem das Gegenteil von Pflicht. Du willst eine Beziehung haben, in der man aus einem positiven Wunsch heraus miteinander zu tun hat, nicht aus Pflichtgefühl. Bei Spontanität geht es nicht darum, dass alles ohne Planung und Nachdenken gemacht wird, sondern darum, eine Beziehung zu schaffen die nicht auf Aufgaben und Anforderungen basiert. Organisiere deine Beziehungen so, dass Spontanität möglich ist!

Fake it till you make it


Manchmal scheint es, als müsste man ein unglaublicher Übermensch sein, um solche anarchistischen Beziehungen "hinzukriegen". Aber das stimmt nicht. Verwende den Trick "Schummeln, bis es funktioniert": Überleg dir in einer ruhigen Situation, wie du handeln würdest wenn du dich so stark und sicher fühlst wie du dir wünschst. Verwandle das in einfache Verhaltensregeln, die du anwenden kannst wenn du dich nicht so stark fühlst. Sprich mit Anderen darüber wie sie das machen, und mach dir keine Vorwürfe wenn es nicht immer klappt!

Vertrauen ist besser


Gehe davon aus, dass die Menschen in deiner Umgebung dir nur Gutes wollen. Es ist Unsinn, dass Egoismus der einzige Antrieb des Menschen ist. Vertrauen ist besser als eine Beziehung, in der du ständig nach Bestätigung suchst, dass der Andere immernoch für dich da ist. Du und die Anderen wollt euch gerne sehen und kommunizieren, aber manchmal hat man so viel um die Ohren, dass man alle Energie auf seine eigenen Sorgen richten muss. Je mehr du dann eine verständnisvolle Umgebung für dich und andere schaffen kannst, desto mehr Energie bleibt übrig, um sich gegenseitig zu unterstützen. Gib den Leuten die Chance zu reden, sich zu erklären, und zu zeigen dass sie Verantwortung in der Beziehung übernehmen, aber auch die Chance, sich um sich selbst zu kümmern. Denke an deine Grenzen.

Veränderung durch Kommunikation


Für das meiste, was Menschen gemeinsam machen, gibt es schon eine Art von Standard, wie das im Normalfall gemacht wird. Wenn du mit den Menschen in deiner Umgebung nicht darüber redest, dann werden sie sich verhalten wie üblich. Kommunikation, und gemeinsam anders zu Handeln, ist der einzige Weg um sich von Normen zu befreien. In radikalen Beziehungen ist Kommunikation ein Hauptbestandteil, kein Ausnahmezustand. Vertrauensvolle Gespräche sind das wichtigste Werkzeug. Wir sind so sehr daran gewöhnt, dass Menschen nicht das sagen, was sie wirklich meinen, sondern dass wir die richtige Interpretation suchen müssen. Solche Interpretationen funktionieren aber nur auf der Grundlage von Normen - wer eine Beziehung jeseits der Norm führen will, muss Klartext reden!

Mach deine Vereinbarungen passend für dich


Das Leben wäre ärmer an Struktur und Bedeutung, wenn man sich nicht mit anderen Menschen zusammentun könnte um Dinge zu erreichen - gemeinsam etwas aufbauen, Kinder großziehen, ein Haus besitzen und zusammen durch dick und dünn gehen. Solche Unterfangen brauchen normalerweise sehr viel Vertrauen und Verbindlichkeit zwischen den Leuten, um zu funktionieren. Beziehungsanarchie heißt nicht, dass du dich niemals auf irgendwas festlegen darfst - es geht darum, mit den Menschen in deiner Umgebung deine eigenen Vereinbarungen zu entwerfen. Frei von den Normen, die dir vorschreiben wollen, dass bestimmte Arten von Verpflichtung für Liebe notwendig sind, damit sie echt ist, oder dass manche Vereinbarungen wie Kinder kriegen oder zusammen wohnen von bestimmten Gefühlen angetrieben sein müssen. Fang bei Null an und mache deutlich, welche Art von Vereinbarung genau du mit anderen Leuten eingehen willst!

15 Kommentare:

  1. Wer keine Email Adresse angibt,
    ist nicht zum Dialog bereit.
    Ohne Dialog gibts aber keine echte Beziehung
    welcher Art auch immer
    Und dann helfen Körperteil-Regel welcher Art
    auch wirklich nicht.
    So schade. So traurig :-(

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    1. Hallo Bernie,

      leider verstehe ich nicht so recht, was mit deinem Kommentar gemeint ist. Magst du es mir nochmal in anderen Worten erklären?

      Liebe Grüße,
      Amelie

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  2. Ich verstehe das Problem, es ist schwer eine Asexuelle Partnerin zu finden...

    Besser allein bleiben, als mit einer blöden, sexsüchtigen schlampe (fas alle Frauen/Frau hat mit Männern sicher gleiches Problem)

    Gruß
    der Ivan

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    1. Hallo Ivan,

      in diesem Artikel geht es doch gar nicht um ein Problem... was meinst du also damit?

      Davon abgesehen finde ich gar nicht, dass jeder nicht-asexuelle Mensch automatisch eine "blöde, sexsüchtige Schlampe" ist. Solche Beleidigungen mag ich auf meinem Blog nicht lesen :(

      Gruß, Amelie

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  3. Danke für die Übersetzung. Toller Text! <3

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  4. Danke für die Übersetzung :) Nice :)

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  5. Danke für die tolle Übersetzung. Als polyamor liebender Mensch, wobei die Betonung auf Amor liegt, spricht mir der Text aus vollem Herzen. Allerdings verstehe ich nicht ganz die Abgrenzung zwischen Polyamorie und Beziehungs Anarchismus. Vielleicht finde ich den Unterschied ja noch raus...

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    1. Beziehungsanarchie ist eine Untermenge von Polyamorie.

      Bei Polyamorie kann es feste Regeln und Hierachien geben und das wichtigste ist das mit den Freunden.

      Bei der Beziehungsanarchie sind ersteinmal alles Beziehungen, zum Beispiel die zu einem Kollegen, rein beruflich oder die zu einem guten Freund, den mensch mal drückt und lieb hat, wenn es ihm oder ihr schlecht geht, den mensch aber nicht knuscht und auch kein Sex mit denen hat.
      Und dann gibt es noch die sexuellen Beziehungen, da kann mensch auch eine Freundschaft+ haben oder halt eine langfristige Beziehung zu einem Menschen, die genau so wäre wie die bei monogam lebenden Menschen.

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  6. Wir wollten uns bedanken, wir als viele einer Person finden dies mehr als nur Hilfreich, denn es erklärt irgendwie wie wir seit unserer Kindheit denken und weswegen wir manchmal voll komisch angesehn werden, vielen Dank!

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  7. Schön geschrieben. Die Punkte sind so wichtig: Kommunikation, Vertrauen und Spontanität! Kein Zwang, keine Forderungen!

    Lg, David

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  8. Super schön! Ich beschäftige mich gerade sehr viel mit mir und dem Thema Beziehungen und Liebe und dieser Text trifft genau das, was ich mittlerweile glaube das einzig für mich richtige ist. Liebe ist so viel da, dass ich sie nicht in Grenzen packen darf Sie ist zum teilen da. Vielen Dank für die Übersetzung!

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  9. Hey,

    vielen dank fuer deinen text. Ich finde es toll, zu sehen, wie auch andere menschen sich gedanken darum machen, wie beziehungen auszerhalb von zwang und normen funktionieren koennen. Durch diesen text habe ich gelernt, dass wohl auch ich beziehungsanarchist bin statt nur polyamor wie ich vorher angenommen hatte. Ich denke nicht, dass es eine einheitliche definition von liebe geben kann, die aber notwendig waere, um die existenz eines solchen begriffs zu rechtfertigen. Stattdessen betrachte ich mich lieber die einzelnen faktoren, die fuer mich in einer beziehung jeder art eine rolle spielen. Wie ist das vertrauensverhaeltnis? Wie verstehen wir uns freundschaftlich, welche interessen teilen wir? Haben wir sexuelles interesse aneinander? Das muss ja nicht unbedingt alles in einen begriff gezwaengt werden. Und auch mit nur einer teilmenge dessen kann ein wunderschoenes zusammenleben moeglich sein. Ich finde das wort "beziehung" schwierig, habe bei denen aber trotzdem eine einfache definition. Mit allen partner*innen die man so nennen koennte laeuft es letztendlich auf "wir moegen uns und entscheiden dann im konsens, was darauf folgt" hinaus. Und das funktioniert so sehr gut und erfuellt quasi die definition, die du hier aufgeschrieben hast. Es ist fuer mich eine tolle erfahrung, gegen die ueblichen konventionen zu leben. Es ist eine tolle erfahrung, mit menschen ehrlich und offen reden zu koennen. Es ist eine hochinteressante erfahrung, gefuehlen wie eifersucht zu begegnen und daran zu arbeiten. Ich kann nur alle ermutigen, sich in diese richtung zu oeffnen und alternative konzepte des lebens auszuprobieren.

    LG,

    anonym

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  10. Vielen Dank für die Mühe des Übersetzens.
    Alles Punkte die von Kindesbeinen an mir so als richtig vor kamen und ich so leben durfte. Dann kam die Pubertät, Schulgruppenzwang und ziemlich schräge Freunde. Die Widersprüchliche Christliche Gemeinschaft hat das auch sehr undurchsichtig und schwierig für mich gemacht. Heute nehme ich mich einfach so an wie ich bin, liebe mich selbst und bin genug. Und ich liebe wieder meinen nächsten wie mich selbst. Das macht es sehr viel einfacher. Danke für den Text. Das ist ein Prima Aufhänger für ein ehrlichen Gesprächseinstieg :-)

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